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Zwölf Trachtler erzählen vom Vereinsleben, der schwierigen Nachwuchssuche und warum Tracht für sie ein Lebensgefühl ist.
Von Saskia Reis
Mit dem Münchner Oktoberfest fällt 2020 zum ersten Mal seit 1949 der traditionelle Trachten- und Schützenzug aus – einer der größten der Welt. Und jedes Jahr aufs Neue ein Höhepunkt der Wiesn, bei dem etwa 9000 Teilnehmer aus ganz Europa mitwirken.
Besonders ins Auge stechen die Trachtler mit ihren festlichen, aufwendig geschneiderten Gewändern und Hüten. Sie organisieren sich in Vereinen, die wiederum sogenannten Gauverbänden angehören. Und längst nicht jeder Verein, der gerne möchte, darf beim sieben Kilometer langen Festzug mitmarschieren. Denn der Organisator des Umzugs, der Münchner Festring, legt strenge Maßstäbe an.
Wenn es ums Thema Tracht geht, herrschen für den Trachten-Experten Alexander Wandinger vom Trachteninformationszentrum des Bezirks Oberbayern einige Missverständnisse vor. Erstens die Annahme, Tracht habe mit Mode nichts zu tun: „Jede sogenannte Tracht entstammt der Mode einer bestimmten Zeit und setzt sich zusammen aus unterschiedlichen Strömungen. Trachtenvereine versuchen also, das regionale Gewand eines Zeitausschnitts, oder was sie dafür halten, zu pflegen und zu bewahren.“ Laut Wandinger muss man sich bewusst sein, dass damit oft eine Wertung einhergeht, die diese oder jene Tracht als historisch richtig oder erhaltenswürdig einstuft. Für ihn gibt es keine „echte, wahre“ Tracht: „Immer, wenn man etwas für gut und richtig erklärt, besteht die Gefahr, dass etwas anderes schlecht und falsch ist. Da wird es schnell ideologisch, die Nazis haben in den 1930er-Jahren Trachtenkleidung ganz bewusst instrumentalisiert.“
Früher war die Lederhose verpönt
Sein zentrales Anliegen ist es daher, deutlich zu machen, dass Tracht nie einheitlich oder uniform, sondern schon immer einem Wandel mit gesamteuropäischen Einflüssen unterworfen gewesen ist: „Nicht jedes Dorf oder Tal hatte seine eigene Tracht, die man vererbt hat. Tatsächlich hatte jede Generation etwas Neues an: drei Generationen – drei verschiedene Kleidungen.“
Gleichwohl habe es Regionen mit regionaltypischen Varianten gegeben, die sich nach der jeweiligen Konfession unterschieden. Bestimmte Gegenden, so Wandinger, haben sich langsamer oder schneller an Moden angepasst; dennoch habe es etwa alle 30 Jahre einen Bruch gegeben mit dem, was die Leute bis dahin getragen haben.
Die ersten Trachtenvereine entstanden Ende des 19. Jahrhunderts, der erste 1883 in Bayrischzell. „Ursprünglich standen sie politisch und gesellschaftlich mehrheitlich links und haben sich mit der Arbeiterbewegung solidarisiert.“
Heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der die kurze Lederhose verpönt war und als unzüchtig galt, nicht konform mit der allgemeinen Kleidung. „Vereinsburschen und -mädchen haben sich alleine, ohne Aufsicht, getroffen, sich nicht den damaligen gesellschaftlichen Regeln gefügt, sondern sich mit ihrem Trachtenverein eine eigene soziale Heimat geschaffen.“ Wandinger geht es um die Liebe zu regionalen Kleidungsformen und Gewandkultur: „Am meisten Charme hat es für mich, wenn Tracht ein Spiel mit Farben und Formen ist – und sich entwickeln darf.“
Aber worum geht es den Vereinen und ihren Mitgliedern über die bild- und tonstarken Festmärsche hinaus? Was bedeutet Tracht für sie? Zwölf Trachtler aus Münchner und Erdinger Trachtenvereinen erzählen:
Denise Wolf-Sigl
Die 55-Jährige trägt das Schalkgewand. Sie ist Mitglied im Trachtenverein „Falkenstoana Stamm“.
„Der Schalk ist die Königin der Tracht. Manche Leute reagieren verständnislos und denken, wir tragen ein Faschingsgewand. Aber eine Tracht ist keine Verkleidung und hat mit Maskerade nichts zu tun. Wer einen Schalk trägt, muss besonders würdevoll auftreten. Von der Stange kaufen kann man ihn nicht: Er wird vererbt oder extra angefertigt. Schalkschneiderinnen betreiben die höchste Kunst der Trachtenschneiderei, und so ist es nichts Ungewöhnliches, wenn ein Schalk in seiner gesamten Ausstattung zwischen 10 000 und 15 000 Euro kostet.
Ich komme selbst aus einer Familie von Schneidermeisterinnen, daher interessiere ich mich vor allem für die Anfertigung der Tracht. Ich habe auch selbst schon immer viel genäht, gestrickt, gestickt und gehäkelt. Heute sammele und restauriere ich Mieder und versuche gerade, selbst einen Schalk zu nähen. Zu meinem Verein bin ich durch Zufall gekommen, denn eigentlich bin ich kein Vereinsmensch. Eine ältere Dame hat mir vor etwa vier Jahren ihren Schalk vermacht, und dann wollte ich ihn auch tragen. Und im Gegensatz zum Dirndl, das man immer tragen kann, geht das bei einem Schalkgewand nicht so einfach. Hierfür braucht es Anlässe – und eben einen Verein.“
Ruth König
Die 49-Jährige trägt das Münchner Bürgergwand und ist Vorsitzende im Verein „Die schöne Münchnerin“.
„1984 bot das Münchner Kulturreferat einen Riegelhauben-Kurs an. Dort fanden sich mehrere Frauen und ein Mann zusammen, um diese Hauben zu sticken. Weil die Stadt das Münchner Gwand wiederbeleben wollte, gab es dann auch noch einen Gwand-Kurs. Daraus entstand 1987 unser Verein, mit nur zwei Gründungsmännern fast ein reiner Frauenverein. Zwei Jahre später marschierten wir als Frauengruppe zum ersten Mal beim Trachten- und Schützenzug auf der Wiesn mit. Seitdem sind wir jedes Jahr dabei, seit 1992 auch mit Männern. Der Unterschied zu Trachtenvereinen ist, dass wir das Münchner Bürgergwand aus der Biedermeierzeit tragen. Jeder kann seine Farben und Stoffe frei wählen, Voraussetzung ist nur, dass das Gwand in der Stadt so auch in der Zeit zwischen 1825 und 1835 getragen wurde. Dabei orientieren wir uns an Gemälden und Beschreibungen von früher. Wir Frauen tragen ein mit Peddigrohr versteiftes Mieder mit Silbergschnür, eine seidene oder Mischgewebebluse, einen in Falten gelegten wollenen oder seidenen Rock, ein Schultertuch mit Zupffransen und einen in Falten gelegten Schurz. Darunter eine Tanzhose und einen Unterrock. Dazu weiße Strümpfe, schwarze, schlichte Schuhe, Kropfkette und eine in Gold oder Silber gestickte Riegelhaube. Unser Fokus liegt noch immer auf dem Selbernähen des Gwands.“
„Wir beschäftigen uns mit alten Handarbeitstechniken; ich selbst klöppele Spitzen nach einer alten Technik aus dem Erzgebirge. Ein Vorbild haben wir natürlich auch: die Dienstbotin Helene Sedlmayr. Für König Ludwig I. war sie der Inbegriff der schönen Münchnerin, und so ließ er sie in der Altmünchner Tracht, wie man es damals nannte, für seine Schönheitengalerie malen. Zur Silberhochzeit von Ludwig I. und seiner Frau Therese fand 1835 ja auch der erste Trachtenzug mit einer Auswahl der regionalen Kleidungen aus Bayern statt.“
Peter von Cube
Der 75-Jährige trägt das Münchner Bürgergwand und ist Mitarbeiter der Vereinszeitung von „Die schöne Münchnerin“.
„Das Besondere an unserem Verein sind für mich die offenen Strukturen, jeder hat seine Freiheit. Das genieße ich. Über einen Bekannten bin ich vor etwa zwei Jahren zur „Schönen Münchnerin“ gekommen. Hier habe ich mich vom ersten Moment an wohlgefühlt und mir auch nach kurzer Zeit das erste Gwand schneidern lassen. Ich trage einen roten Gehrock, eine lange graue Hose mit Latz, eine silberne Weste, und auf meinem Kopf thront ein passender grauer gefilzter Hasenhaar-Zylinder. Dazu kommt eine silberne oder goldene Taschenuhr mit Uhrkette. Ganz wichtig ist der Flanierstock, in meinem Fall mit einem silbernen Knauf mit floralen Verzierungen, das Symbol des freien Bürgers. Nur als solcher hatte man das Recht, einen Stock zu tragen. Wenn wir als Verein ausrücken, bereiten wir uns darauf auch mental vor. Man richtet sich sein Gwand mehrere Tage vorher her, poliert die Schuhe, stimmt sich ein. In dem Moment, in dem man sein Gwand anzieht, wird man zu einem anderen Menschen. Wenn ich vor dem Spiegel stehe und meinen Zylinder aufsetze, werde ich gefühlt zwei Zentimeter größer. Meine Frau sagt dann, ich stolziere wieder wie ein Gockel. Ich halte es da mit Gottfried Kellers Novelle ‚Kleider machen Leute‘. Genauso ist es.“
Joachim Malotka
Der 66-Jährige trägt die Werdenfelser Tracht und ist Schriftführer und Vortänzer im „Mittenwalder-Stamm München“.
„Ich komme zwar aus Schleswig-Holstein, meine Heimat sind inzwischen aber Bayern und die Berge. Einmal hatte ich einen Tanzauftritt, da lobte jemand meine ‚fast perfekte‘ Tracht und meinte, dass es mit der Sprache noch ein wenig hapere. Ich solle doch noch einen Bairisch-Kurs belegen – das finde ich Quatsch. Genauso wie die Annahme, eine Tracht muss in einem Rutsch gekauft werden. Vielmehr wächst eine Tracht über die Jahre: Meine Lederhose stammt von einem Säckler in Berchtesgaden, die Joppe kommt aus dem nördlichen Ammergau, der Federkielranzen wurde in Rosenheim gestickt. Vor Kurzem habe ich noch einen alten Werdenfelser Hut aus Garmisch-Partenkirchen erstanden. So hat jedes Stück seine eigene Geschichte. Der große individuelle Gestaltungsspielraum mit den verschiedenen Trachtenelementen macht das Trachtentragen für mich lebendig. Typisch bei uns Werdenfelsern sind die gestickten Werdenfelser Hosenträger. Die hat es schon vor über 100 Jahren gegeben, wenn auch nur ganz vereinzelt. Mittlerweile sticke ich die Hosenträger mit Garn, Nadeln, Stramin und Vorlage selbst. Ein Buch legt man nach dem Lesen weg, aber so ein Hosenträger, der bleibt.“
Franziska Graf
Die 20-Jährige trägt die Berchtesgadener Gebirgstracht. Die Kuhglockenspielerin und angehende Jugendleiterin ist Mitglied im Trachtenverein “D’Untersberger München“.
„Zurzeit kämpft unser kleiner Verein ums Überleben. Wir sind nur sechs Mitglieder: mein Vater als 1. Vorsitzender, die Mutter meines Glockenspielpartners als 2. Vorsitzende, mein Spielpartner Markus, mein Bruder als passives Mitglied, ein Ehrenmitglied und ich. Trotzdem mache ich gerade eine Ausbildung zur Jugendleiterin, denn ich hoffe, dass wir Nachwuchs finden. In unseren besten Zeiten in den 1960er-Jahren hatten wir über 100 Mitglieder und ein eigenes Vereinsheim. Doch nach und nach sind Mitglieder verstorben oder ausgetreten. Unser Vorstand ist zwischen 50 und 60 Jahre alt. Man merkt schon, dass die beiden sich konzentrationstechnisch bei den Stücken mit sechs bis 19 Kuhglocken schwerer tun – denn früher spielten wir nur einfachere Lieder mit zwei bis drei Glocken. Wir treffen uns jeden zweiten Freitag im Privathaushalt unserer 2. Vorsitzenden zur Probe. Coronabedingt haben auch wir bis Mitte September pausiert. Kuhglocken findet man heutzutage fast nur noch gebraucht. Meinen Satz haben wir im Internet entdeckt, bei einer Frau in Norddeutschland. Mit sechs Jahren habe ich angefangen mit dem Glockenspiel, ich trainiere seit nunmehr 14 Jahren.“
„Heute spiele ich neben alten bayerischen Liedern auch moderne Stücke, Pop und Oldies. Man kann eigentlich fast alles mit Glocken spielen, außer Rap oder Heavy Metal. Ein Stück, das mir sehr am Herzen liegt: ‚Aus grauer Städte Mauern‘. Dafür haben wir Noten für vier Stimmen, sind derzeit aber nur drei Spieler. Auch ‚Bruder Jakob‘ klingt als Kanon mit vier Glockenstimmen am schönsten. Mein größter Wunsch ist, dass wir wieder fünf, sechs Glockenspieler sind, damit das Instrument weiterlebt.“
Uli Moll
Der 63-Jährige trägt die Schlesische Festtracht aus der Gegend um Schreiberhau im Riesengebirge und ist Vorsitzender der „Riesengebirgs-Trachtengruppe München (RTG)“.
„Meine Mutter stammt aus Liegnitz und war als Vertriebene sehr heimatverbunden. Schon mit sechs Jahren war ich Mitglied in einer schlesischen Trachtengruppe. Unsere Volkstänze führten wir besonders gerne auf Veranstaltungen auf, die größte war das Schlesiertreffen mit etwa 150 000 Besuchern. Mit 15 wechselte ich dann zur RTG, wir waren viel unterwegs, und eigentlich war dauernd etwas los. Ganz nach meinem Geschmack. Mit 18 wurde ich Tanz- und Jugendleiter. Die Mutter meiner ehemaligen Frau kommt ebenfalls aus Liegnitz, unsere Eltern kannten sich schon aus ihrer eigenen Jugend in der Liegnitzer Heimatgruppe. Für uns ist die RTG wie eine zweite Heimat und der Ort, an dem wir im Laufe der Jahre immer mehr das Gefühl für Schlesien und die Heimat unserer Eltern entwickeln konnten. Oft werden wir gefragt, ob wir eigentlich Polen sind. Dann erklären wir, dass das ehemalige Schlesien nach dem Zweiten Weltkrieg polnisches Gebiet wurde. Unsere Eltern sind aber Deutsche, die aus dem damaligen deutschen Gebiet Schlesien vertrieben wurden. 1964 hat die RTG die Europeade mitgegründet, ein Folklore-Festival, auf dem sich jedes Jahr bis zu 7000 Trachtler aus ganz Europa treffen. Dieses Fest liegt mir besonders am Herzen. Fünf Tage wird getanzt, musiziert und gesungen. Schlesier, Flamen, Steiermärker, Portugiesen und viele andere kommen zusammen, und wir erleben unsere ganz eigene europäische Gemeinschaft. Denn uns Trachtler verbindet eine gemeinsame Mentalität: Jeder akzeptiert jeden, egal woher er kommt. Das ist gelebte Toleranz. Und da darf sich jeder ‚a Radl davo‘ abschneiden, wie man in Bayern sagen würde.“
Veronika Moll
Die 30-Jährige trägt die Schlesische Festtracht aus der Gegend um Schreiberhau im Riesengebirge. Sie ist Schriftführerin und Vortänzerin der „Riesengebirgs-Trachtengruppe München (RTG)“.
„Mit 18 Jahren wurde ich zur 1. Vortänzerin, oder auch Tanzleiterin gewählt. Das heißt: Ich bringe unseren Mitgliedern das Tanzen bei. Gemeinsam studieren wir Tänze ein und manchmal denke ich mir neue Tänze aus. Außerdem plane und koordiniere ich unsere Auftritte. Dass wir neben den traditionellen schlesischen Tänzen auch alle Arten von deutschen Volkstänzen tanzen – insgesamt haben wir mehrere hundert Tänze im Repertoire – empfinde ich als große Bereicherung. Denn der Volkstanz lebt vom Austausch und entwickelt sich dadurch weiter. Es gibt einen Tanz namens „Kreuz König“, bei dem die Frauen von den Männern hochgehoben werden und quasi durch die Luft fliegen: Wenn wir den präsentieren, und das Publikum applaudiert, macht mich das unglaublich stolz. Unsere schöne Festtagstracht aus dem Riesengebirge ist in allen Teilen handgefertigt. Bei uns im Verein gibt es derzeit nur noch eine Frau, die unsere weißen Schürzen und Schultertücher, das sogenannte Weißzeug, handbestickt. Für ein Schultertuch und eine Schürze benötigt man etwa 150 bis 200 Stunden. Wenn sie nicht mehr weitermacht, haben wir ein Problem. Deswegen lasse ich mir zeigen, wie diese sogenannte Loch- und Langettenstickerei funktioniert, sodass ich mir in Zukunft selbst mein Weißzeug sticken kann.“
Robert Schönhofen
Der 56-Jährige trägt die Miesbacher Tracht. Er ist Fähnrich (Fahnenträger) bei den Vereinen „Goldachtaler Eicherloh“, den „Tassilo Schützen Aschheim“ und bei der „Schützengesellschaft Oberföhring-Priel“.
„Als Fähnrich verschiedener Vereine bin ich seit fast 40 Jahren mit der jeweiligen Vereinsfahne beim Trachten- und Schützenzug auf dem Oktoberfest mit dabei. Erst seit Kurzem weiß ich, dass ich eine alte Familientradition weiterführe. Denn schon mein Großvater war Fähnrich beim Trachtenverein D’Oberlander Neukirchen, den er 1905 mitgegründet hat. Der Trachtenumzug ist eine Herzensangelegenheit für mich. Eine Woche vorher nehmen wir den Fahnenspitz und lassen ihn von unserem Floristen in Trudering schmücken. Der Spitz muss richtig was hermachen. Am Festsonntag treffen wir uns bei den Schützen in Aschheim und fahren mit der S-Bahn zum Treffpunkt Gewürzmühlstraße. Während wir uns für den Umzug aufstellen, hören wir schon die Musik der Blaskapellen und Spielmannszüge. Die besten und am härtesten umkämpften Plätze für uns Fähnriche sind die Außenreihen links und rechts. Denn in den Fernsehübertragungen werden nur die gesehen. Die richtig guten Fahnenschwinger versuchen, die Kapperl von den Polizisten an den Absperrungen zu erwischen. Wenn die Mützen fliegen, ist das für uns und die Zuschauer immer ein Highlight. Nicht jedoch für alle Polizisten. Doch die meisten nehmen es zum Glück mit Humor.“
Brigitte Feig
Die 32-Jährige trägt die Miesbacher Tracht und ist Schriftführerin im Heimat- und Volkstrachtenverein „Riadastoana“ Feldmoching.
„Unter Trachtlern duzen wir uns, da gibt es kein ‚Sie‘ – auch wenn man jemanden noch nicht kennt und sie oder er 90 ist: Man ist per Du. Unser Spruch: ‚Sitt und Tracht der Alten wollen wir erhalten.‘ Trotz des Wandels der Generationen ehren wir das, was früher war. Aufgrund der vielen Freizeitangebote müssen wir als Verein der Jugend heutzutage viel mehr bieten. Deswegen ist es mir als jüngeres Mitglied wichtig, mich zu engagieren. Um mit der Zeit mitzugehen, brauchen wir einen jungen Ausschuss mit moderneren Perspektiven. Wir legen zum Beispiel Wert auf Digitalisierung und Präsenz in den sozialen Medien von Facebook bis Instagram. So wird man auch leichter von Agenturen entdeckt und bekommt Angebote für Auftritte. Dass sich Trachtlerinnen zu Vereinsanlässen nicht schminken dürfen, dass Nagellack nicht erlaubt ist, das ist bei jungen Leuten einfach nicht mehr ‚in‘. Daher ist es für uns von Bedeutung, einen Mittelweg zu finden zwischen Moderne und Tradition. Mein Ziel ist es, dass wir als ‚Riadastoana‘ attraktiv bleiben für Jung und Alt. Corona ist eine echte Herausforderung für alle Trachtenvereine. Die Mieten für Vereinsheime müssen bezahlt werden, gleichzeitig kommt ohne Veranstaltungen kein Geld rein. Der Vereinszusammenhalt steht durch die Pandemie auf einem Prüfstand: Die Älteren zählen zur Risikogruppe und können am Vereinsleben derzeit nicht teilnehmen. Meine Hoffnung ist, dass sich alles wieder zum Guten wendet und wir uns als Verein wieder bedenkenlos treffen können – so, wie es vorher war.“
Alexander Seemann
Der 49-Jährige trägt die Chiemgauer Gebirgstracht und ist im Vorstand des „Gebirgstrachten-Erhaltungsvereins Chiemgauer München“.
„Schon mein Vater schwärmte von Trachten. Wenn wir auf einem Volksfest waren, sagte er zu mir: ‚Schau, Alexander, da, der Gamsbart.‘ In einem Trachtenverein war er selbst aber nie. Zwar hatte ich von klein auf Gefallen daran, in einem Verein war aber auch ich nicht aktiv. Bis zum 40. Geburtstag von meinem Freund Christan Härtl. Er ist heute der Wirt unseres Vereinslokals ‚Harlachinger Gartenstadt‘. Auf der Feier fingen Christians Spezln irgendwann an zu plattln. Für mich war das ein elektrisierender Moment. Ich bekam Gänsehaut, und mir wurde klar: Ich bin ein Bayer und will das Plattln lernen. Das war 2007. Daraufhin hat Christian mich einfach mal zum Maitanz in den Trachtenverein mitgenommen. In den ersten Jahren bin ich nur ab und zu mitgegangen. Erst 2010 habe ich mich als Mitglied aufnehmen lassen. Da hat auch meine Frau Gefallen an der Tracht gefunden und ist ebenfalls dem Verein beigetreten. Inzwischen ist auch unsere Tochter begeistertes Mitglied. Besonders aufwendig in der Machart bei der männlichen Trachtenausstattung ist der händisch federkielgestickte Ranzen. Da spart man länger drauf hin und leiht sich derweil einen bei einem Kameraden. Warum Vereinszugehörigkeit? Ich fand die Leute gut, wollte dazugehören, aber nicht nur zu den Menschen. In erster Linie wollte ich mich zu meiner bayerischen Heimat bekennen. Ich bin in ganz Bayern aufgewachsen und in ganz Bayern daheim: Mein Vater kommt aus dem Bayerischen Wald, meine Mutter aus Weilheim-Schongau. Mein Onkel hatte ein Ferienhaus im Chiemgau, in München bin ich zur Schule gegangen. Ich bin also kein Kosmopolit, sondern ein Bavariapolit. Und die ‚Chiemgauer München‘ sind meine Heimat.“
Leni Seemann
Die Zwölfjährige trägt ihr maßgeschneidertes Kommunionsdirndl und ist Mitglied der Kinder-und Jugendgruppe im „Gebirgstrachten-Erhaltungsverein Chiemgauer München“.
„Ich bin schon im Verein, seit ich Kleinkind bin. Immer montags haben wir Kinder- und Jugendplattlerprobe. Die Buam platteln, und wir Madln drahn (drehen). Das Üben macht total Spaß. Wir finden aber auch immer noch Zeit, darüber zu reden, wie es zum Beispiel so in der Schule läuft. Beim Drahn wird einem manchmal sogar leicht schwindelig. Man trägt Absatzschuhe und draht auf Zehenspitzen. Dazu muss man die Geschwindigkeit erreichen, dass der Rock ausschaut wie ein Teller. Aber Übung macht hier ja die Meisterin. Wir tanzen aber auch Partnertänze mit verschiedenen Figuren wie das Mühlradl oder den Laubentanz oder singen auch mal bayerische Lieder. Beim Trachten- und Schützenzug war ich schon mit vier Jahren das erste Mal dabei, obwohl man bei uns im Verein eigentlich erst später anfängt, mit etwa sechs Jahren. Einer der Höhepunkte im Trachtenjahr ist für mich zum Beispiel das Maifest. Da zeigen wir allen Leuten unser Können. Ich finde es toll, dass meine Eltern sich die Zeit nehmen, damit wir alle im Trachtenverein sein können. Hier habe ich meine Freunde, hier fühle ich mich daheim.“
Dana Seemann
Die Röckifrau trägt die Chiemgauer Gebirgstracht und ist Mitglied im „Gebirgstrachten-Erhaltungsverein Chiemgauer München“.
„Auch wenn ich nicht aus Bayern komme – Dirndl trag ich schon immer gern. Für verheiratete Frauen gibt es bei den ‚Chiemgauern‘ das sogenannte Röckigwand, eine reich verzierte schwarze Seidentracht. Eine neue Ausstattung ist eine kostspielige Anschaffung, die schüttelt man nicht mal eben aus dem Ärmel. Ich hatte Glück und habe mein Röcki gebraucht von einer älteren Dame übernehmen können. Aus ihrer Familie gab es hierfür keine Nachfolgerin, und so war sie froh, dass ihre Tracht bei mir in guten Händen ist und weiterhin getragen wird. Gut gefällt mir, dass die Tracht keine Uniform ist, sondern schon noch einige Freiheiten lässt. Vorgegeben sind aber das schwarze Röckigwand, schwarze Schuhe und Strümpfe, das weiße, goldbestickte Einstecktuch, eine Kropfkette und natürlich die Schürze in der goldgelben Farbe. Markant ist auch noch der hochwertig bestickte Priener Hut mit den Goldquasten. Ob ich aber hier oder da noch einige Perlen-Applikationen oder eine Rüsche mehr habe, das kann ich dann selbst entscheiden. Inzwischen ist der Trachtenverein aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Besonders wertvoll sind für uns die guten Freundschaften, die wir dort gefunden haben. Aber auch die Bodenständigkeit, die Entschleunigung vom Alltag und dass wir all das gemeinsam als Familie erleben können.“
Texte, Portraits und Storytelling: Saskia Reis
Redaktion: Elisabeth Gamperl, Hans Kratzer, Birgit Kruse