EWA UND DER LOCKDOWN

IN DER KURFÜRSTENSTRAßE

Sexarbeit während Corona: Ewa und der Lockdown 2 in der Kurfürstenstraße

Interview und Editing: Saskia Reis

Auch im Lockdown 2 ist Sexarbeit in Deutschland verboten. 40.400 angemeldete Sexarbeiter*innen bekamen die November- und Dezemberhilfen. Doch wie trifft das Tätigkeitsverbot diejenigen, die durchs Raster fallen? Die Mehrheit der Sexarbeiter*innen in Deutschland sind nicht offiziell angemeldet – sie bekommen daher auch keine staatlichen Hilfsgelder. Viele sind auf Spenden angewiesen, oder arbeiten unter illegalen Bedingungen weiter. Darunter auch solche, die eigentlich Anspruch hätten auf ALG2. Saskia Reis hat sich mit einer Sexarbeiterin getroffen, die sich in einer dramatischen Situation befindet. Das ist die Geschichte von Ewa. Zum Anhören in der Audiobar oder direkt auf Deutschlandfunk Kultur hier klicken.

Ausgestrahlt am 14. Februar 2021in Stunde 1 Labor, Deutschlandfunk Kultur.

“Ich habe angefangen als Tänzerin, Gogo, und ich habe Striptease getanzt. Also: jung, sexy, hübsch, schlank... Diese Blicke, diese lüsternen Blicke, diese sabbernden Mäuler, dieser heiße Glanz in den Augen, und so ein bisschen verrückt... Klar, fragt man sich: Ist man noch bei Trost, sowas zu machen. Aber ich habe schnell diese Gedanken rausgeworfen und einfach nur weitergemacht.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“Ich heiße Ewa und bin Sexarbeiterin. Ich komme zur Kurfürstenstraße, um etwas Geld zu verdienen, also (den) Lebensunterhalt zu bestreiten, weil ich bin nicht beim Jobcenter oder ich kriege keine sozialen Leistungen, ich möchte nichts vom Staat nehmen. Deswegen (ist) der einzige Weg, für mich, hierher zu kommen.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“Ich komme aus der Ukraine, bin 1994 nach Deutschland gekommen. Ich kam damals wegen Geld... sogenannter „Goldener Westen“... Ich wollte nur drei Monate bleiben, daraus ist schon über 20 Jahre geworden. Prostitution begleitet mich praktisch die Jahre bis jetzt.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“Ich sah das zur damaligen Zeit als einzige Möglichkeit, an die Summe ranzukommen, die ich damals gebraucht habe, um meine Schulden zu begleichen.”

 

Musik-Snippet Quarry Clouds

 

“Man tanzt, (dann) sitzt da ein Herr, der ziemlich wohlhabend aussieht, und dann sieht er eine Frau, er sieht ihre Reize, und dann natürlich denkt er nicht nur daran, sie anzuschauen und ihr Geld in den Strip zu stecken, sondern er will ein bisschen mehr. Dann sagt er: „Ja, hättest du Lust auf mehr? Ich sag jetzt mal Oralverkehr...“ Und dann liegt es daran, ob man es annimmt irgendwann, oder nicht. Wenn er sagt, OK, ich bezahle dir dafür doppelt so viel wie wenn du zwei-drei Stunden lang tanzt, dann sagt man doch ja.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“Wenn sich eine Frau entscheidet, diese Arbeit zu machen, muss man sie auch abschalten können. Deswegen versuche ich nicht darüber nachzudenken, ob ich Prostituierte, Nutte oder Schlampe bin, ich möchte so sagen: Das ist genau so eine Arbeit, wie jede andere. Die ist auch mit Schweiß. mit Lächeln, mit Herz verbunden. Man versucht es ehrlich zu machen. Man versucht, Menschen nicht verzweifeln zu lassen, nicht traurig werden zu lassen. Ein Mann kommt nicht hierher zum Heiraten. Aber ihn wenigstens mit einem Lächeln nach Hause fahren zu lassen... und dementsprechend handele ich auch.”

 

Musik-Snippet The Derricks

 

“Diese Einstellung sollte man haben, wenn man sich schon dafür entscheidet, diese Arbeit zu machen.”

 

Musik-Snippet The Derricks

 

“Ob früher Stripteasetanz, oder im Bordell arbeiten, oder hier auf der Straße zu sein, das ist im Endeffekt alles das Gleiche: Man hat zu tun mit dem Gegengeschlecht, mit den Männern, die auch natürlich befriedigt sein möchten, jeder möchte auch auf seinen Spaß kommen, auf seine Kosten kommen.”

 

Musik-Snippet The Derricks

 

“Ich stehe auf, und wenn das Portemonnaie schreit, stehe ich auf, ziehe mich an und komme hier(her), auf die Kurfürstenstraße. Ob das jetzt Mittag ist, oder Abend oder Nacht, weil man einfach weiß: Die Straße ist 24h offen, muss an nicht auf die Zeit achten, es gibt keinen Feierabend, es kann nicht geschlossen werden, es kann nicht rausgeschmissen werden, es ist keine Räumlichkeit, die man verlassen muss... Man kommt einfach her und versucht, sein Ding durchzuziehen.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“(Das) Klientel ist richtig bunt. Es gibt von Männern, die in sehr hohen Positionen sind, auch Regierungsbeamte, bis zu Obdachlosen, und die kommen auch zu unterschiedlichen Zeiten.”

 

Musik-Snippet Trenton Channel

 

“(Die) Kurfürstenstraße ist nicht nur eine schlimme Straße, oder verrufene Straße, nein, das ist auch (eine) Chance und vielleicht die letzte Möglichkeit für einige Menschen wirklich würdevoll zu leben oder zu überleben – und deswegen kam ich auch her.”

 

Musik-Snippet Trenton Channel

 

“Insofern man jetzt keine Zuhälter hat und man für sich alleine arbeitet, ist man auf niemanden angewiesen. Man kann kommen, wann man möchte, gehen, wann man möchte. man muss kein Geld abgeben, wie im Bordell üblich, einen Teil abzugeben. man muss sich nicht an die Regeln halten. Das sind die Vorteile. Und das Gefährliche ist, dass man schutzlos ist, dass man auf sich alleine gestellt ist, natürlich.”

 

Musik-Snippet Trenton Channel

 

“Man muss es nicht wissen oder hören, man kann es einfach sehen. Das ist gespenstisch, wie aus einem Albtraum oder schrecklichen Horrorfilm, man läuft alleine durch die Straßen... so ungefähr ist es hier. Manchmal komme ich hier(her) und ich gucke und ich bin die einzige Frau, die hier durch die Gegend läuft. Ich weiß, jetzt beim Lockdown ist es verboten, wir dürfen es auch nicht ausüben. Die Polizei ist hier auch präsent, und wenn eine Frau ziemlich frech ist und etwas macht, direkt vor den Augen, dann halten sie natürlich und sagen: „Geh mal nach Hause“ oder „(Es) ist verboten, man darf es nicht“. Aber wenn man auf jeden Cent angewiesen ist, was soll man machen? Man muss auch hier(her) kommen und irgendwie versuchen, ein bisschen Geld zu verdienen.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“Geld ist schwieriger geworden zu verdienen. Man steht unter Druck, man weiß nicht, wie man den nächsten Tag überhaupt überleben soll. Ich komme ganz kurz hier(her) und sobald ich ein bisschen Geld mach, verschwinde ich auch sofort. Reich davon wird man sowieso hier nicht. In diesen Zeiten sowieso nicht. Das ist natürlich sehr bedrückend.”

 

Musik-Snippet Dearborn

 

“Wenn ich entscheide, mich beim Jobcenter zu melden und (zu) registrieren, dann werde ich nie so leben können, wie ich jetzt lebe. Obwohl das jetzt in dieser Situation auch nicht gesagt ist. Bei dieser Zeit muss man wahrscheinlich abwägen. Vielleicht, wenn man Sozialleistungen bezieht, ist man besser dran, als wenn man herkommt. Aber zurzeit möchte ich da(s) erstmal nichts ändern oder experimentieren.”

 

Musik-Snippet Trenton Channel

 

“Meine Lage ist sehr unsicher, ich lebe von heute auf morgen und ich lebe nur davon, was ich hier auch mache. Und ich verdiene hier auch nur das Nötige, was ich auch ausgebe, um bis zum nächsten Tag zu überleben. Und das würde ich (als) dramatisch nennen, denn gut ist die Lage nicht.”

 

Musik-Snippet Trenton Channel

 

“Wenn ich beim Jobcenter wäre oder vom Staat Geld genommen hätte, das ist ein Minimum. Minimum zum Leben, wo man so gerne sagt nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Ich möchte auch aus finanzieller Sicht die Freiheit haben, auch nicht Reichtümer haben, auch (mir) nicht alles leisten können, aber das haben können, was über (die) Minimum-Grenze hinausgeht, und darüber selber entscheiden zu können und bestimmen zu können, diese Freiheit hätte ich gerne.”

 

Musik-Snippet Trenton Channel

 

“Ich möchte nicht in Konflikt kommen, ich möchte einfach nicht die Sachen aufeinanderprallen haben, die nicht zusammen gehören. Zum Jobcenter kommen, vom Staat Hilfe kassieren und dann überlegen, wie kann ich das rausreden, verstehst du? Irgendwas verstecken, und irgendwas haben, irgendwas machen und doch versuchen, das zu verstecken... Ich möchte das einfach nicht haben. Das vereinfacht mir das Leben. Es ist schon stressig genug, (Entschuldigung)...”

 

Musik-Snippet Quarry Clouds

 

“Nein, ich habe keine Angst. Meine Mutter war in (der) Partei, die war Kommunistin, meine Oma, die war (ein) sehr gläubiger Mensch, ich wurde als Kind immer zur Kirche (mit)genommen. Was nutzt es mir, wenn ich jetzt (hier) sitzen würde, und Angst haben würde und darüber nachdenken würde oh, was passiert, wenn ich mich morgen anstecke? Und was, wenn nicht?!”

 

Musik-Snippet Quarry Clouds

 

Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich morgen sterben sollte, dass ich einfach mal stehen kann und mich anschauen kann und sage: "Ey, du kannst mal ruhig gehen, du musst hier nichts vermissen, du hast nichts falsch gemacht, du hast niemanden verletzt, keiner hat wegen dir geweint oder dich verflucht." Vielleicht gibt es einen, der danach sagen kann: "Lieber Gott, die war, so wie sie war, in Ordnung." Man sagt, wenn man einen einzigen Freund im Leben hat, dann hat man nicht umsonst gelebt. Egal wie beschwerlich der Lebensweg ist, ich möchte, ich möchte einfach niemanden verletzen.”

 

Musik Fade-Out Dearborn

 

Musik: https://freemusicarchive.org/music/Blue_Dot_Sessions/

 

Dearborn, Quarry Clouds, The Derricks, Trenton Channel

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